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Der Bauch von Neapel

Literarische Kolumnen - Anklagen einer Zeitungsgründerin gegen den Zustand Neapels um 1900 - PERLEN: Italienische Schriftstellerinnen des 20. und 21. Jahrhunderts, PERLEN 6

Erscheint am 20.08.2024, 1. Auflage 2024
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783737412391
Sprache: Deutsch
Umfang: 192 S.
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

In Neapel grassierte im Jahr 1884 eine Choleraepidemie, die innerhalb weniger Wochen Tausende Opfer forderte. In den engen, schmutzigen Gassen der dichtbebauten Altstadt litt vor allem die ärmste Bevölkerung an den unhygienischen Bedingungen. Unter Zugzwang geraten, statteten König und Ministerpräsident der Stadt einen Besuch ab und beschlossen die gründliche Sanierung der alten Straßenzüge - auf Kosten der ärmsten Bevölkerung. Wer dieses Vorhaben genaustens beobachtete, war die junge Journalistin und Zeitungsgründerin Matilde Serao. In ihren Kolumnen erwacht Neapel zum Leben, der Küchenduft und die stinkenden Gassen, das Geschrei der Leute, ihr Jammern, Lachen und Rufen. Man leidet mit, wenn Mütter keine Milch für ihre Neugeborenen haben, man schüttelt den Kopf über absurde Vorhaben und Baupläne der Stadt. Über zwanzig Jahre hinweg sammelte Matilde Serao ihre literarisch und geschichtlich kostbaren Kolumnen und fasste sie zu dem Band Der Bauch von Neapel zusammen - ein bemerkenswertes Zeugnis des solidarischen Engagements für die Verbesserung menschlicher Lebensverhältnisse. Die deutsche Erstübersetzung ist Teil der Reihe PERLEN, die große italienische Autorinnen des 20. und 21. Jahrhunderts vorstellt.

Autorenportrait

MATILDE SERAO kam 1856 im griechischen Patras zur Welt. Sie arbeitete als Lehrerin, Journalistin und Schriftstellerin. Zusammen mit ihrem Ehemann, dem Journalisten und Schriftsteller Edoardo Scarfoglio, gründete sie zwei Tageszeitungen, Il Corriere di Roma (1885) und Il Mattino di Napoli (1892). 1903 rief sie in Neapel als erste Frau in der Geschichte des italienischen Journalismus eine neue Zeitung ins Leben, Il Giorno, die sie bis zu ihrem Tod leitete. Sie galt als Vielschreiberin und verfasste neben ihren journalistischen Texten mehr als vierzig Romane. Matilde Serao starb 1927 an einem Herzinfarkt. Sie ist in Neapel auf dem Friedhof Poggioreale begraben. ULRIKE SCHIMMING übersetzt seit mehr als 25 Jahren Literatur aus dem Italienischen und Englischen. Darunter einen Neapel Krimi von Patrizia Rinaldi, Romane von Tea Ranno und Renata Viganò, aber auch Sachbücher wie die Holocaust-Erinnerungen von Liliana Segre und der Schwestern Andra und Tatiana Bucci. 2018 wurde sie mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis in der Sparte Sachbuch für ihre Übersetzung von Gianumberto Accinellis Der Dominoeffekt ausgezeichnet.

Leseprobe

Man hat Ihnen sicher eine, zwei oder drei Straßen der Armenviertel gezeigt und Sie werden entsetzt gewesen sein. Aber Sie haben nicht alles gesehen. Die Neapolitaner, die Sie dorthin gebracht haben, kennen selbst nicht alle dieser Viertel. Haben Sie die gesamte Via dei Mercanti besucht? Sie ist gerade einmal vier Meter breit, sodass keine Kutschen passieren können; und sie ist verschlungen, windet sich wie ein Gedärm: Die hohen Häuser tauchen sie während der schönsten Tage in ein fahles und totes Licht. In der Mitte der Straße befindet sich ein stinkendes schwarzes Rinnsal, ein unbeweglicher Morast. Er besteht aus schmutzigem Seifenwasser und Lauge, aus Nudelwasser und Gemüsebrühe, eine übelriechende, faulende Mischung. In der Via dei Mercanti, eine der Hauptstraßen des Stadtteils Porto, gibt es alles: dunkle Läden, in denen Schatten herumhuschen und alles Erdenkliche verkaufen, Pfandleiher, Lotterie-Buden; hin und wieder eine kleine schwarze Tür, hin und wieder eine verschlammte Sackgasse, hin und wieder eine Bratstube, aus der der Mief von minderwertigem Olivenöl dringt, hin und wieder einen Wurstwarenhändler, in dessen Laden es nach verschimmeltem Käse und ranzigem Speck stinkt. Von dieser Straße gehen viele weitere Gassen ab, die die Namen von Gewerken tragen: Zabatteria (Schuster), Coltellai (Messerschmiede), Spadari (Degenmacher), Taffettanari (Taftweber), Materassari (Polsterer) und so weiter. Diese Gassen - und das ist der einzige Unterschied - sind noch viel enger als die Via dei Mercanti, doch genauso dreckig und dunkel. Und jede stinkt auf ihre ganz eigene Weise: nach altem Leder, geschmolzenem Blei, Salpeter- oder Schwefelsäure. Verschiedene Straßen führen von den Hügeln hinunter nach Porto. Sie sind besonders steil, eng und schlecht gepflastert. Die Via di Mezzocannone ist die Heimat der Färber. In jeder dunklen Werkstatt lodert ein Feuer unter einem großen schwarzen Kessel. Halbnackte Männer rühren darin eine dampfende Mischung zusammen. An der Tür trocknen rote und violette Lumpen. Bunte Farben tropfen unentwegt auf das grobe Pflaster. Eine andere Straße, die so genannten Gradelle di Santa Barbara, die Treppen der heiligen Barbara, ist ebenfalls sehr eigen: Dort haben auf beiden Seiten unglückselige Frauen ihr Zuhause gefunden und werfen tagsüber als elende Arbeitslose aus Müßiggang und tiefem Menschenhass Feigen- und Melonenschalen, Unrat und Getreidespreu aus den Fenstern auf die Passanten. Und alles bleibt auf diesen Stufen liegen, sodass reinliche Leute es nicht mehr wagen, dort entlangzugehen. Eine andere Straße führt hinter dem Pensionat von San Marcellino nach Portanova, dort endet die Via dei Mercanti und es beginnt die Lanzieri. Eigentlich ist das keine Straße, es ist eine Sackgasse, eine Art schwarzer Kanal, der unter zwei Bögen hindurchführt und in dem sich anscheinend der ganze Unrat eines afrikanischen Dorfes sammelt. Dort geht es an einem bestimmten Punkt nicht mehr weiter: Der Boden ist glitschig und es zieht sich einem der Magen zusammen.

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